19. Oktober 2022

EuGH: Verjährung und Verfall von Urlaubsansprüchen – Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers

Am 22.09.2022 ergingen gleich zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Thema Urlaub und Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers. In dem einen Fall ging es um die Frage, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von 3 Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist. Der andere Fall betraf die Frage der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei Langzeiterkrankten. Beide Fälle wurden vom EuGH zu Gunsten der Arbeitnehmer entschieden. Sie sind für die Unternehmenspraxis von großer Relevanz.

Nach Ansicht des EuGH (6. Kammer) Urteil vom 22.09.2022 – C – 120/21 (LB/TO) ist die Verjährung von Urlaubsansprüchen nach nationalen Verjährungsvorschriften grundsätzlich zulässig. Die Urlaubsansprüche können daher nach §§ 195 und 199 BGB drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem sie entstanden sind, verjähren. Voraussetzung – so der EuGH – sei jedoch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auch wahrzunehmen. So sei es Sache des Arbeitgebers, gegen späte Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkomme. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer also über seinen Anspruch aufklären. Tut er dies nicht, kann er die Einrede der Verjährung nicht erheben.

In seiner zweiten Entscheidung (1. Kammer) Urteil vom 22.09.2022 – C – 518/20 (XP/Fraport) klärte der EuGH die Frage, ob Urlaubsansprüche, die ein Arbeitnehmer in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, verfallen können. Nach bisheriger deutscher Rechtsprechung verlieren Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert sind, ihre gesetzlichen Urlaubsansprüche mit Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres. Dies soll – so nun der EuGH – dann nicht gelten, wenn der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum jedenfalls teilweise gearbeitet und der Arbeitgeber ihn auf den möglichen Verfall seiner Ansprüche nicht hingewiesen hat. Der Arbeitgeber ist also auch in dieser Fallkonstellation gehalten, den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auszuüben.