28. Januar 2022

Ein im Ausland wohnhafter Geschädigter kann nach einem Verkehrsunfall in Deutschland bei fiktiver Abrechnung in der Regel nur die günstigeren Reparaturkosten geltend machen, die an seinem Wohnort anfallen.

Das Amtsgericht Aachen hatte einen Sachverhalt zu entscheiden, bei dem eine in Belgien wohnhafte Klägerin mit ihrem auch in Belgien zugelassenen Kraftfahrzeug einen Verkehrsunfall in Aachen erlitten hatte. Die Geschädigte machte den ihr entstandenen Schaden fiktiv geltend. Dazu holte sie das Gutachten eines in Aachen ansässigen Sachverständigen ein, der die Reparaturkosten auf der Grundlage der Preise einer in Deutschland ansässigen Vertragswerkstatt kalkulierte. Wir haben demgegenüber für den von uns vertretenen Kfz-Haftpflichtversicherer des deutschen Schadenverursachers eingewendet, dass bei fiktiver Abrechnung auf die – wesentlich günstigeren – Werkstattpreise, insbesondere Stundenverrechnungssätze einer belgischen Vertragswerkstatt abzustellen ist.

In seiner Entscheidung vom 03.09.2021 hatte das Amtsgericht Aachen den Sachverhalt unter den zwei wesentlichen Aspekten zu beurteilen.

Zum einen galt es zu klären, ob für die Schadensbemessung belgisches oder deutsches Recht anwendbar ist. Letzteres war nach Ansicht des Amtsgerichts Aachen der Fall. Gemäß Art. 40 Abs. 1 EGBGB gilt für Grund und Höhe des Schadensersatzanspruchs materielles deutsches Recht, wenn sich der Verkehrsunfall in Deutschland ereignet hat, weil Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht des Staates unterliegen, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat.

Etwas anderes gilt dann, wenn mit dem Recht eines anderen Staates eine wesentlich engere Verbindung besteht, sodass dadurch das Recht des Unfallortes gemäß Art. 41 Abs. 1 EGBGB verdrängt wird. Insoweit galt es zu klären, ob deshalb, weil die Geschädigte ihren Wohnsitz in Belgien hatte und sich dort auch der gewöhnliche Standort ihres Pkw befand, eine wesentlich engere Beziehung zu Belgien bestand. Das Amtsgericht Aachen hat dies und damit die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II VO nicht angenommen, sondern für die Höhe des Schadensersatzanspruchs allein auf die deutsche Norm des § 249 BGB abgestellt.

Zum anderen hat das Amtsgericht Aachen aber klargestellt, dass die Geschädigte gleichwohl nur die günstigeren Reparaturkosten einer belgischen Fachwerkstatt verlangen kann, weil es im Rahmen von § 249 BGB bei fiktiver Abrechnung grundsätzlich auf die „ortsüblichen“ Stundenverrechnungssätze und Ersatzteilkosten ankommt. Der Ort, auf den bei der Ermittlung der Ortsüblichkeit abzustellen ist, ist grundsätzlich der Wohnort des Geschädigten (so AG Aachen unter Verweis auf OLG München vom 13.09.2013, 10 U 859/13, zitiert nach juris).

Ähnlich hat das OLG Düsseldorf im Jahr 2007 entschieden, dass ein Ausländer, der sein Fahrzeug nach einem Unfall in Deutschland unrepariert in sein Heimatland zurückbringt, sei es auf eigener oder auf fremde Achse, sich unter dem Aspekt der Schadenminderungspflicht entgegenhalten lassen muss, dass bei einer Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten auf die günstigeren Preise seines Heimatlandes abgestellt wird (OLG Düsseldorf vom 05.11.2007, 1 U 64/07, zitiert nach juris Rn. 22).

In diesem Zusammenhang wurde der Geschädigten dann aus dem Gesichtspunkt des Auswahlverschuldens auch kein Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten zugebilligt. Das Gutachten, das die Kosten einer Reparatur in Deutschland kalkulierte, war zur Bezifferung des Schadens nicht brauchbar. Die Beauftragung eines Gutachters in Deutschland mit der Ermittlung der in Deutschland anfallenden Reparaturkosten stellte ein Auswahlverschulden der Geschädigten dar, die für ihre eigene falsche Bewertung der Rechtslage einzustehen hat. Für die komplexen Rechtsfragen, die sich bei einem grenzüberschreitenden Bezug ergeben, hätte nötigenfalls professioneller Rechtsrat in Anspruch genommen werden müssen.

Das Amtsgericht Aachen hat somit in einer gerade in der hiesigen Grenzregion wichtigen Fragestellung für Klarheit gesorgt.

Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 03.09.2021 (102 C 79/20)