7. Dezember 2022

Bundesgerichtshof klärt die Frage, wann eine E-Mail im geschäftlichen Verkehr zugegangen ist (Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21)

Eine rechtliche Erklärung unter Abwesenden muss nach § 130 BGB dem Empfänger zugegangen sein, um wirksam zu sein. Die Frage, wann eine Erklärung zugegangen ist, kann in der Praxis erhebliche Bedeutung gewinnen. Bis zum Zugang beim Empfänger kann die Erklärung durch den Absender nämlich jederzeit widerrufen oder abgeändert werden.

Der Zugang einer Erklärung setzt nach allgemeiner Meinung voraus, dass die Erklärung so in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser nach dem normalen Lauf der Dinge von ihr Kenntnis nehmen kann (entscheidend ist also nicht die tatsächliche Kenntnisnahme). Für Briefe ist seit langem anerkannt, dass diese im Geschäftsverkehr bis zum Schluss der Geschäftszeiten mit dem Einwurf in den Briefkasten des Empfängers zugehen; erfolgt der Einwurf nach Geschäftsschluss, geht die Erklärung mit dem Geschäftsbeginn am nächsten Werktag zu.

Für E-Mails ist bislang in der Fachliteratur und der Rechtsprechung umstritten, wann ein Zugang im Sinne des § 130 BGB vorliegt. Teilweise wird vertreten, dass – entsprechend dem Brief – der Zugang bereits erfolgt, wenn die E-Mail abrufbereit im elektronischen Postfach des Empfängers eingegangen ist; teilweise wird darauf abgestellt, wann mit einem Abruf der E-Mail gerechnet werden kann, wobei dieser Zeitpunkt in der Regel auf das Ende der täglichen Geschäftszeiten gelegt wird.

In einem Urteil vom 06.10.2022 (VII ZR 895/21) hatte der Bundesgerichtshof diese Frage zu klären, weil der Absender eines Vergleichsangebotes per E-Mail dieses Angebot ebenfalls per E-Mail 40 Minuten später widerrufen hatte. Es musste also entschieden werden, ob dieser Widerruf vor dem Zugang der ersten E-Mail und damit rechtzeitig erfolgte.

Der Bundesgerichtshof geht von einem Zugang der ersten E-Mail (und damit von einem verspäteten Widerruf des Vergleichsangebotes) aus und begründet dies damit, dass zumindest im unternehmerischen Rechtsverkehr eine E-Mail zugegangen ist, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Server abgelegt ist, weil dann nach dem normalen Lauf der Dinge von ihr Kenntnis genommen werden kann (der Bundesgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang praxisnah darauf, dass dem Empfänger der Eingang einer E-Mail mitgeteilt wird); auf die Frage, ob auch tatsächlich eine Kenntnisnahme erfolgte, kommt es bekanntlich nicht an.

In seiner Entscheidung betont der Bundesgerichtshof mehrfach, dass diese für den geschäftlichen Rechtsverkehr gilt. Ob die strengen Anforderungen an die Kontrolle eingehender E-Mails auch gegenüber Privatleuten gilt, ist also weiter ungeklärt.