Architektenrecht: „Aufstockungsklagen“ für Verträge vor dem 01.01.2021 (wieder) möglich
Die HOAI 2013 sah ebenso wie ihre Vorgängerversionen verbindliche Mindestsätze für das Honorar vor – wurden diese Mindestsätze (wie in der Praxis häufig) durch die vertraglich vereinbarte Vergütung unterschritten, konnte der Architekt die Differenz zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Mindestsatz einklagen („Aufstockungsklage“). In einer Entscheidung aus dem Juli 2019 hat der Europäische Gerichtshof diese Regelung der Mindestsätze für gemeinschaftswidrig erklärt.
Die Reichweite dieser Entscheidung war umstritten. Konkret stand im Streit, ob das Urteil lediglich den deutschen Gesetzgeber zu einer Anpassung der gesetzlichen Regelungen zwingt (die mit der HOAI 2021, die für Verträge ab dem 01.01.2021 eine freie Vereinbarung der Architektenvergütung vorsieht, vollzogen wurde) oder ob es den Gerichten als Organen des Staates auch bei „Altverträgen“ untersagt ist, die gemeinschaftswidrigen Regelungen über die Mindestsätze weiter anzuwenden. Überwiegend wurde dabei angenommen, dass die Mindestsätze auch bei Altverträgen nicht mehr angewendet werden können und Aufstockungsklagen damit bei solchen Verträgen ebenfalls ausgeschlossen sind.
Mit einem Urteil vom 18.01.2022 (C-261/20) hat der Europäische Gerichtshof aber jetzt entschieden, dass die europarechtlichen Richtlinien keine Verbindlichkeit gegenüber Privatpersonen entfalten und daher auch gegen diese Richtlinien verstoßendes nationales Recht bis zu einer Änderung weiter anzuwenden ist. Für Verträge, die noch nicht der HOAI 2021 unterliegen (also vor dem 01.01.2021 abgeschlossen wurden), sind damit Aufstockungsklagen weiter möglich.