13. September 2023

Anspruch auf Unterlassung von Kirchengeläut eines nachträglich neben die Kirche gezogenen Nachbarn?

In einem derzeit vor dem Verwaltungsgericht Aachen anhängigen Verfahren vertreten wir eine Kirchengemeinde als Beklagte. Ein Kläger als Anwohner des Kirchengebäudes verlangt, dass die Kirchengemeinde das sakrale/liturgische Läuten unterlassen, zumindest aber auf bestimmte Zeiten begrenzen und auch die Dauer des jeweiligen Geläuts einschränken solle. Insbesondere wendet der Kläger sich gegen das sogenannte Angelus-Läuten, welches drei mal täglich um 7 Uhr, um 12 Uhr und um 19 Uhr  stattfindet und welches in der katholischen Kirche eine jahrhundertelange Tradition hat. Ihn störe morgens früh und spätabends zwar auch das sog. Zeitläuten, welches er in diesem Verfahren aber nicht angreift, weil er dafür den Zivilrechtsweg als eröffnet ansieht. Eine Besonderheit bestand darin, dass der Kläger erst im Jahr 2021 neben die Kirche gezogen ist.

Die für Immissions- und Umweltrecht zuständige 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen machte in einer Erörterung deutlich, dass die Angelegenheit nach den insoweit maßgeblichen Regelungen des BImschG und der TA-Lärm zu beurteilen ist. Auf subjektive Befindlichkeiten des Klägers kommt es insoweit ebenso wenig an wie auf die Haltung des Klägers bzw. einer Einzelperson zu der Institution Kirche im Allgemeinen. Allerdings bedeutet der grundgesetzliche Schutz der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 2 GG nicht, dass sich das Geläut von Kirchenglocken deshalb nicht an die lärmtechnischen Vorgaben der gesetzlichen Regelungen halten müsste.

In der TA-Lärm bestehen unterschiedliche Anforderungen für den Tag und für die Nacht, wobei die Tageszeit nach der TA-Lärm von 6 Uhr bis 22 Uhr dauert. In dem hier zu beurteilenden Sachverhalt, dessen abschließende Entscheidung noch aussteht, hatte der Kläger bestimmte Lärmwerte nur pauschal behauptet, ohne zum Beispiel Lärmmessungen vorzulegen. Ihm ist es insoweit schon nicht gelungen, eine relevante Überschreitung der zulässigen Grenzwerte überhaupt darzulegen. Hinzukommt, dass die TA-Lärm bei der Beurteilung des Läutens von Kirchenglocken nicht das alleinige Kriterium darstellt. Vielmehr ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts letztlich eine Frage der Einzelfallbeurteilung, wann Geräusche die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen überschreiten. Diese richtet sich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, wobei wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die Sozialadäquanz und die allgemeine Akzeptanz mitbestimmend sind. Glockengeläut, dass sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen hält, stellt regelmäßig keine erhebliche Belästigung, sondern auch in einer säkularisierten Gesellschaft eine zumutbare, sozial adäquate Einrichtung dar. Es muss daher von sich gestört fühlenden Einzelpersonen oder Personengruppen – auch unter dem Gebot gegenseitiger Toleranz – hingenommen werden. Darauf, aus welchen individuellen Gründen sich der betroffene Nachbar durch das Glockengeläut gestört fühlt, kommt es insoweit nicht an (BVerwG, Beschluss vom 19.02.2013, 7 B 38/12). Zudem ist in besonderem Maße zu berücksichtigen, wessen Grundstück einer faktischen Vorbelastung unterlag, wer also erst später hinzugekommen ist.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen zu 6 K 686/22 ist demnächst zu erwarten. Abzuwarten ist auch, ob der Kläger Unterlassungsansprüche auch vor dem Zivilgericht geltend machen wird.